Andacht zur Jahreslosung 2017

„Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch.“ Ezechiel 36, 26

Ich begrüße alle zur ersten Andacht nach den Weihnachtsferien, zur ersten Andacht im Neuen Jahr. Ich wünsche allen, dass sie eine Zeit der Ruhe und Besinnung hatten, dass sie neue Kräfte sammeln konnten und dass diese Kräfte lange anhalten mögen im jetzt vor uns liegenden Jahr 2017. Und ich wünsche allen: ein gutes, neues Jahr!

Vor den Ferien verabschiedete ich die Gemeinde mit den Worten:

„Weihnachten

ist nicht nur

Geschenke schenken;

Weihnachten ist –

mit dem Herzen

denken.“

Dieser Spruch eines unbekannten Autors passt wunderbar zur diesjährigen Jahreslosung:

„Gott spricht:

Ich schenke euch ein neues Herz

Und lege einen neuen Geist

In euch.“ Ezechiel 36, 26.

Und, diese Jahreslosung passt sehr gut – wie ich finde – zur aktuellen politischen und geistigen Großwetterlage, sie passt sehr gut in die angespannte Zeit, in ein Jahr, das mit Besorgnis auf manche, von Menschen gemachte Entwicklungen schauen lässt:

Amtsantritt und die ersten 100 Tage eines umstrittenen neuen amerikanischen Präsidenten; Wahlen in Frankreich und Deutschland, an deren Ausgang das Erstarken rechtspopulistischer Parteien stehen könnte, in Frankreich vielleicht eine Präsidentin, die nach England den Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union betreiben könnte; das weitere weltweite Erstarken extremistischer, terroristischer Gruppierungen, die ihren „Kampf“ mittlerweile immer häufiger in die Herzen unserer freiheitlichen, an Demokratie gewöhnten Gesellschaften tragen, in die Metropolen der westlichen Welt, zuletzt auch mehrfach in Deutschland.

Freilich erst, nachdem Vertreter der westliche Welt Gewalt und Krieg in die östliche, in die arabische Welt bis an den Hindukusch getragen haben. Ich empfehle in diesem Zusammenhang ein kleines Büchlein von Michael Lüders: „Wer den Wind sät. Was westliche Politik im Orient anrichtet.“, in 21. Auflage 2016 bei C.H. Beck erschienen.

Die weitere Zunahme weltweiter Flüchtlingsströme mit verzweifelten Menschen, die Kriegsgebieten entfliehen und den Weg in vermeintlich sicherere Regionen suchen, Migrationsbewegungen beinahe in den Dimensionen früherer Völkerwanderungen; ein rasch, immer wieder doch rascher als zunächst angenommen, voranschreitender Klimawandel, der einhergeht mit der Zerstörung natürlicher Lebensräume von dann unwiederbringlich verlorenen Tieren und Pflanzen; ein exponentielles Wachstum der Weltbevölkerung bei gleichzeitiger massenhafter Verarmung großer Teile dieser Bevölkerung, mit allen, seit Jahrzehnten bekannten Folgen, u. a. dem ebenfalls exponentiell wachsenden Reichtum einiger weniger:

In den letzten 15 Jahren reduzierte sich der sog. Mittelstand in den USA von 59% Anteil an der Gesamtbevölkerung auf 50% – in Deutschland rechnet man im selben Zeitraum mit einer Verringerung von 69% auf 60%.

All das enthält: sozialen Sprengstoff, Erklärungsnot für Politiker, Zerstörungspotential für die ganze Erde.

Dem kann man begegnen – und das geschieht, wie wir täglich in den Medien beobachten können – indem an bisherigen Umgangsweisen und Verfahren, an bisherigen Überzeugungen und Haltungen festgehalten wird, indem die „Schuld“ an diesem und jenem immer bei dem oder bei den anderen gesucht wird, die eigene geleugnet wird. Indem mit kaltem Herzen und mit alten Rezepten Lösungen für Probleme gesucht werden, die sich so in Zukunft nicht mehr werden lösen lassen.

Und da wird uns also jetzt diese Jahreslosung gegeben, ich möchte sagen: auf-gegeben, mit einem Vers aus dem alten Testament, vom Propheten Ezechiel, der dem Volk Israel diese Zusage macht:

„Gott spricht:

Ich schenke euch ein neues Herz

Und lege einen neuen Geist

In euch.“ Ezechiel 36, 26.

Ezechiel sagt an derselben Stelle auch: „Ich werde das steinerne Herz aus eurem Leib herausnehmen und euch ein fleischernes geben.“

Der Topos, ein Herz als Geschenk, überhaupt, der Tausch eines Herzens gegen ein anderes, ist auch in der Literatur bekannt: ich denke da an E.T.A. Hoffmann und „Das steinerne“ Herz oder Wilhelm Hauff und „Das kalte Herz“, beides Stücke aus dem vorletzten Jahrhundert und der Epoche der Romantik. Hier geht es um das falsche Leben einzelner Protagonisten, im Märchen, in der Erzählung, darum, dass sie ihren Mitmenschen gegenüber fremd werden, abweisend, nur auf den eigenen Vorteil bedacht handelnd. Und dadurch ihre Wärme, ihre Herzenswärme, also ihre Gefühle verlieren – eben: ein kaltes, ein hartes, ein steinernes Herz bekommen.

„Anders in der Zusage des Propheten. Er wendet sich nicht an einzelne, sondern an mehrere, an eine Gemeinschaft, er spricht von „euch“ als Adressat dieses Geschenks, dieses neuen Geistes. Ein neues Herz will Gott „uns“ schenken. Auch uns hier, in dieser Schulgemeinschaft. Dabei muss man beachten: Für den alttestamentarischen Menschen ist das Herz der Ort der Vernunft, der Sitz des Verstandes.

Nicht die Heimat des Gefühls und der Emotionen. Im Herzen geschieht das Denken und Planen. Hier werden die Entschlüsse des Lebens getroffen. Das Herz verarbeitet und ordnet die Eindrücke, die von außen kommen. Und so bedeutet ein Mangel an Herz Gedankenlosigkeit, Unvernunft.

Und einen neuen Geist will Gott in uns geben. Dieser Geist ist eine dynamische Lebenskraft. Dieser Geist macht lebendig, dieser Geist schafft Raum und setzt Menschen in Bewegung. Dieser Geist führt aus der Enge in die Weite. Und nur in seiner Wirkung ist dieser Geist zu erkennen. Wie es in Johannes 3, 8 heißt: „Der Geist weht, wo er will.“ Sein Woher und sein Wohin aber ist unfassbar. Zu alledem ist der Geist – Ruach im Hebräischen – weiblich.

Ist das alte Herz ein verhärtetes, so ist das neue Herz ein weiches, fleischernes. Starrsinn, der gefangen hält in alten Denkmustern, wird also ersetzt durch Lebendigkeit, die dem Denken Freiheit und Weite eröffnet. Das Entkommen aus Zwanghaftigkeit und Angst wird gelingen. Neue Möglichkeiten werden erkannt und wahrgenommen, die gangbare Wege gehen lassen und bisher verschlossene Türen öffnen können.

Der neue Geist will Gottes Weisung in den Blick nehmen und zu einer neuen Gesinnung führen. Er wird helfen, die Selbstverliebtheit und die Selbstgenügsamkeit zu überwinden und den Nächsten in den Blick zu nehmen. Er wird helfen, der Gerechtigkeit nachzuspüren und die Wahrheit nicht als die eigene zu sehen. Er wird helfen, der Liebe, der Menschenliebe, allezeit eine Chance zu geben und die Versöhnung aus freien Stücken heraus zu wagen.“ [nach: Kurt Rainer Klein, Juli 2016]

Betrachten wir zum Schluss das Bildmotiv von Stefanie Bahlinger:

Aus einem dunklen, ja schwarzen Herzen, aus einer dunklen Bildhälfte links, erwächst ein rotes, ein lebendiges Herz, das ins Licht, ins Helle reicht, nach rechts. Dieses neue Herz verjüngt sich nach unten – in ein rotes, feines Kreuz, das im Kreuzungspunkt von einer gelben „Kreisfläche“ gleichsam gehalten wird. Jesus am Kreuz. In Jesus von Nazareth finden wir dieses neue Herz und diesen neuen Geist.

Bei dem, der uns ermutigt, auf Gott zu vertrauen und nicht in Angst und Sorge zu vergehen. Der uns anweist, nach dem Reich Gottes zu trachten. Der uns darauf fokussiert, alles das zu tun, was wir auch von anderen Menschen erwarten, was sie uns tun sollen. Der uns Vertrauen in das Leben schenkt.

Und diesen – aufrechten – Glauben sehen wir ganz rechts. Gold ist die Farbe des Glaubens. Das neue Herz hält, kaum sichtbar, aber dennoch deutlich – eine schwungvolle Verbindung zu diesem Glauben.

In unserer kulturellen Gewohnheit „lesen“ wir von links nach rechts, von oben nach unten, also: vom schwarzen, harten, Herzen hin zum roten, lebendigen und weiter zum Glauben, vom widerstreitenden Menschlichen – das kalte und das warme Herz – zur Baisis, zu Jesus Christus, der am Kreuz sein Leben für unser Leben gegeben hat.

Lasst uns damit, in diesem Glauben und in der Hoffnung und im Vertrauen auf Gott, in dieses Neue Jahr gehen, auch in unserer Gemeinschaft hier an der Schule.

Amen.

D. Toder, 11.1.2017