Back to Eden

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Tina Tews: „Waldspaziergang“

Als „Vorspiel“ haben wir „Jenseits von Eden“ gehört. Als die Ärzte noch jung und jugendgefährdend waren – also vor ca. 40 Jahren – haben sie einer Schnulze von Nino de Angelo den nötigen morbiden Charme verpasst. Das Stück ist mir zu der Ausstellung eingefallen, die gerade nebenan im evangelischen Gemeindehaus zu sehen ist. Bis zum 3. Oktober läuft sie noch. Unter dem Titel „Back To Eden“ sind Bilder der Künstlerin Tina Tews aus Konstanz zu sehen.

Was auf den ersten Blick auffällt, ist die Schönheit, die in den Bildern eingefangen ist. Das ist bei Kunst nicht selbstverständlich. Kunst kann und will ja auch manchmal verstörend sein. In den Bildern im Gemeindehaus klingt das nur in ganz wenigen Bildern und auch dort nur sehr versteckt an. Manchmal vielleicht noch nicht einmal von der Künstlerin beabsichtigt. Die Herzblattlilie wird in der Abstraktion von roten Flecken durchzogen, als stünde sie kurz davor von Feuer verschlungen zu werden.

Die Künstlerin hat ihr Schaffen unter das Motto „Eden Art“ gestellt und der Begriff „Eden zieht sich auch wie ein roter Faden durch die Titel vieler ihrer Ausstellungen. Der Garten Eden ist das Paradies, das im zweiten Schöpfungsbericht der Bibel beschrieben wird. Wörtlich übersetzt ein „Garten der Wonne“. Tina Tews schreibt über sich selbst: „Mit der Kunst versuche ich Momente aus der unendlichen Schönheit von Gottes Schöpfung einzufangen.“ Flora und Fauna – Pflanzen und Tieren gilt ihr besonderes Augenmerk. Aber auch von Menschen geschaffene Schönheit oder besondere Momente und Orte setzt sie ins Bild.

Dabei würde man Tina Tews Unrecht tun, wenn man ihr unterstellen würde, sie sähe die Welt durch eine rosa Brille. Sie musste in ihrem Leben schon schwere Schicksalsschläge verarbeiten. So haftet ihren Bildern ein „Trotzdem“ an. Trotz der Finsternisse der Welt möchte sie, dass wir den Blick für das Schöne nicht verlieren. Denn die Schönheit der Schöpfung will gesehen und geschützt werden. Einige der Bilder lassen die Doppeldeutigkeit des Lebens erahnen: Schönheit und Vergänglichkeit.

Den Platz über dem Altar im Gemeindehaus hat dieses Bild bekommen. Es heißt „Waldspaziergang“. Es ist ein Bild voller Schönheit. Licht fällt aus der oberen Bildmitte auf eine begrünte Lichtung. Ein Waldspaziergang lädt ein, zur Ruhe zu kommen. In der größten Sommerhitze tut der Schatten der Bäume wohl. Und doch ist das Licht nicht ausgesperrt, sondern schimmert durch die Bäume hindurch. Das Bild drückt in seiner Farbgebung und Komposition diese ruhige Stimmung aus. Zugleich klingt auch etwas von der Vergänglichkeit des Lebens an. Vereinzelt liegen tote Äste am Boden. Im Wald sind sie Teil des natürlichen Kreislaufs des Lebens. Und doch erinnern sie daran, dass Leben nicht ewig währt.

Denn wir sind jenseits von Eden. Der Titel der Ausstellung „Back To Eden“ setzt voraus, dass wir uns an einem anderen Ort befinden und den Weg zurück nach Eden suchen müssen. Das entspricht unserer Realität. Die Schöpfung ist gefährdet. Durch den Klimawandel, durch die Vermüllung der Meere und vieles andere mehr. Mit den Worten aus dem Eingangsstück: „Die Erde weint wie kein andrer Planet.“  Sie hat homo sapiens, eine todbringende Krankheit. Und es ist nicht nur die Natur, die bedroht und gequält ist. „Wenn selbst ein Kind nicht mehr lacht wie ein Kind“ … weil es in seinem jungen Leben schon zu viel gesehen hat, was Menschen niemals erleben sollten. Im Gazastreifen, in der Ukraine und an so vielen anderen Orten. „Wenn uns gar nichts mehr zusammenhält, verlöscht vielleicht das letzte Licht der Welt.“ Zerbrochen sind allzu viele Beziehungen zwischen Menschen, heillos ist der Zustand der Welt. Gibt es keinen Weg zurück nach Eden?

Die Geschichte von Eden findet sich – wie gesagt – in der Bibel. Im Kapitel nach dem zweiten Schöpfungsbericht wird erzählt, wie die ersten Menschen aus dem Garten vertrieben wurden. Verführt von der Schlange hatten sie von der verbotenen Frucht gegessen. Die Augen wurden ihnen aufgetan und sie erkannten, was gut und was böse ist. Zu der Geschichte gäbe es viel mehr zu sagen, als in einer Andacht Platz hat. Für heute soll reichen: Etwas zwischen Gott und den Menschen ist zerbrochen. Die Menschen hatten nicht mehr das volle Vertrauen, dass Gott es gut mit ihnen meint. Und Gott kann nicht mehr darauf vertrauen, dass sie seine Grenzen respektieren. In den ursprünglichen Zustand der Unschuld gibt es keinen Weg zurück. Die Augen sind geöffnet. Deshalb gibt es kein blindes Vertrauen mehr und die Menschen müssen Eden verlassen.

Aber das ist eben kein Höllensturz. Es gibt nicht nur schwarz oder weiß, den Garten Eden oder die Hölle. Die Menschen werden auf die Erde geschickt, in ein Leben voller Anstrengung und Herausforderung. Aber auch in das Leben mit seinen Freuden und Schönheiten. Gott lässt die Menschen nicht allein. Er gibt ihnen Kleider. Später gibt er ihnen Gebote, Weisungen, die ihnen ein gelingendes Leben miteinander und mit ihm ermöglichen würden. Aber die Menschen scheitern immer wieder daran. Deshalb wird Gott in Christus selbst Teil dieser Welt. Er lebt Liebe und Versöhnung mit den Menschen. Doch immer noch nehmen die Menschen ihn in sein Eigentum nicht auf. Es folgen Karfreitag, Ostern, Pfingsten: Gottes Ringen um die Menschen hört nicht auf. Er bleibt hartnäckig. Aber Therapieresistenz der Menschen ist ebenfalls hartnäckig. Es bleibt (vorerst) bei der Ambivalenz der Erde. Eden bleibt eine vage Erinnerung.

Das heißt für uns: Wir sind immer noch jenseits von Eden. Wir sind mit den Bildern von Tod und Zerstörung und mit den Momenten unseres eigenen Scheiterns konfrontiert. Und dennoch können wir an der Hoffnung festhalten. Weil Gott an uns festhält. Wir können uns aufrichten an den Schönheiten der Schöpfung, wie Tina Tews sie in ihren Bildern vor Augen führt. Wir können einander – zumindest punktuell – so begegnen, wie Gott es uns gelehrt und Jesus es uns gezeigt hat.

Wir können Eden-Momente erleben. Die vergangene Woche hat mir einige Eden-Momente beschert. Ich habe die Woche als einen neuen Start erlebt. Ich habe mich gefreut, wieder Teil dieser Schulgemeinschaft zu sein, an Gespräche und Beziehungen aus dem vergangenen Schuljahr anzuknüpfen bzw. Fäden wieder aufzunehmen. Mir ist das Herz aufgegangen, als die Sechstklässler*innen bei der 5er-Feier „Kriecht aus eurem Schneckenhaus“ gesungen haben und besonders bei der Zeile „Freundschaft, die zusammenhält“ Begeisterung ausgestrahlt und einander umarmt haben.

Wir können nicht zurück nach Eden – jedenfalls nicht aus eigener Kraft. Aber wir können etwas von dem Leben umsetzen, das Gott für uns vorsieht. Wir können zumindest in Teilen versöhnt leben – mit Menschen und mit Gottes Schöpfung.

Arnold Glitsch-Hünnefeld

Die Ärzte: Jenseits von Eden