Start ins neue Schuljahr
Schulgottesdienst zum Schuljahresbeginn

„Ich schaue hoch zu den Bergen. Woher kommt Hilfe für mich?“ haben wir im Psalm gebetet. Den Blick erheben, nach Orientierung suchen – das ist immer wieder Thema im Leben, auch im Schulleben. Und so tauchen Berge und auch dieser Ps 121 immer mal wieder in meinen Andachten und Gottesdiensten auf. Ok – auch weil ich ein Faible für die Berge habe. Aber Berge spielen in der Bibel immer wieder eine wichtige Rolle: Der Sinai, auf dem Mose die 10 Gebote von Gott empfängt, oder der Nebo, von dem aus er einen Blick ins gelobte Land werfen darf, bevor er stirbt. Im Neuen Testament steigt Jesus auf einen Berg und hält die Bergpredigt. Auf einem Berg nimmt er Abschied von seinen Jüngern und gibt ihnen den Taufbefehl, bevor er in den Himmel auffährt. Berge als Orte besonderer Begegnungen mit Gott und als Orientierungspunkte im Leben.
Ein Berg, der in der Bibel immer wieder eine wichtige Rolle spielt, ist der Zion. Der Berg auf dem Jerusalem gebaut ist und der Tempel steht. Dorthin sind Juden immer wieder gepilgert. Der Ps 121 ist ein Wallfahrtspsalm, ein Lied, das die Pilger auf den Lippen hatten, wenn sie unterwegs zum Tempel auf dem Zion waren.
„Ich schaue hoch zu den Bergen.“ Wenn man in den Sarntaler Alpen in Südtirol an passender Stelle den Blick erhebt, kann man hoch oben eine Kirche erblicken. Nach langen Jahren Pause habe ich mich in diesen Ferien wieder mal auf den Weg dorthin gemacht. Meine private Pilgerfahrt sozusagen. Oder profaner: Halt mal wieder eine Bergtour.
Allerdings musste ich feststellen, dass ich seit meinen letzten Wanderungen in Südtirol nicht jünger geworden bin und es um meine Kondition nicht zum Besten steht. Schon auf dem ersten Abschnitt zur Klausner Hütter bin ich ganz schön ins Schnaufen gekommen. Bis dahin könnte man theoretisch noch mit dem Auto gelangen, wobei die Strecke nur zur Bewirtschaftung der Hütte und für die wenigen Gäste einer der kleinen Unterkünfte am Wegesrand freigegeben ist. Ein Stück hinter der Klausner Hütte gibt es dann allerdings keine Möglichkeit mehr, mit dem Auto weiterzukommen. Und da wird es erst so richtig steil. Man fragt sich: Was bringt Menschen dazu, eine Kirche an einem Ort zu bauen, der so mühsam zu erreichen ist?
Auch bei dieser Kirche handelt es sich um einen Wallfahrtsort. Auf knapp 2.300 m ist es der höchstgelegene in Südtirol. Die Legende erzählt, dass es in der Gegend um das Jahr 1700 in drei Jahren hintereinander Missernten wegen Hagelschlags gab. In ihrer Verzweiflung wandten sich die Bauern an den Pfarrer von Latzfons. Der empfahl ihnen, ein vernachlässigtes Herrgottsbild zu suchen. Und – welch ein Zufall! – in der Totenkapelle von Latzfons fand sich unter einigem Gerümpel ein altes Wegekreuz. Um zukünftige Missernten abzuwenden, wurde eine große Prozession veranstaltet und das Kreuz zum Kaserbild getragen, wo es feierlich aufgestellt wurde. Aber – so sagt die Legende – der Herrgott am Kreuz war nicht zufrieden mit dem Ort und schüttelte den Kopf. Also zog man weiter in die Höhe zum Kompatsch – dorthin, wo auf 1.930 m heute die Klausnerhütte liegt. Aber wieder schüttelte der Herrgott den Kopf. Erst am dritten Ort eben auf 2.300 m Höhe war er offenbar zufrieden und das Kreuz konnte dort aufgestellt werden. 40 Jahre später wurde eine erste kleine Kirche zum Schutz des Kreuzes gebaut. 1869 wurde diese dann durch die Kirche ersetzt, die noch heute dort steht: „Heiligkreuz auf Ritzlar“.
Jedes Jahr im Juni wird das alte Kreuz in einer feierlichen Prozession von Latzfons aus in die Kirche dort oben getragen. Und Mitte Oktober wieder zurück. In der Zwischenzeit gibt es jährlich noch mehrere Wallfahrten zum Latzfonser Kreuz. Und zwischen Juli und Oktober findet jeden Sonntag eine heilige Messe in der Kirche statt. Manche Menschen bringen Bilder von ihren Verstorbenen in die Kirche und zünden Kerzen für sie an. Andere begehen den Kreuzweg, der in 15 Stationen von oberhalb des Kompatsch zum Latzfonser Kreuz führt.
Regelmäßig machen sich also Menschen auf diesen doch beschwerlichen Weg, um mit Gott in Kontakt zu treten. Bei einer Wallfahrt ist der Weg wesentlich. Sich das Ziel zu erarbeiten. Manchmal muss man sich anstrengen, um etwas Besonderes zu erleben. Oder anders gesagt: Manches Erlebnis wird gerade dadurch besonders, dass man es sich erarbeiten muss.
Ich bin dann noch weiter bis zur Kassianspitze gegangen. Aber im Gegensatz zu früher, musste ich dafür an meine Grenzen gehen. Man könnte auch sagen: Der Berg hat mir meine Grenzen aufgezeigt. Und dabei hatte ich noch nicht einmal klare Sicht. Aber es war trotzdem faszinierend, von oben in die Gegend und auf die doch selbst so hoch gelegene Kirche zu blicken.
Habt Ihr etwas gemerkt? Manchmal gibt es erstaunliche Parallelen zwischen Ferienerlebnissen und Schule: Orientierung suchen und finden. Verschiedene Perspektiven einnehmen. Sich Ziele, Erkenntnisse und Erlebnisse erarbeiten. An Grenzen stoßen und vielleicht sogar manchmal scheitern. Und sich in alledem behütet und von Gott getragen zu wissen. Das alles werdet Ihr im neuen Schuljahr auch erleben können.
Apropos neue Perspektiven. Wer zum ersten Mal die Kirche am Latzfonser Kreuz betritt und das alte Kreuz in Augenschein nimmt, wird möglicherweise überrascht sein. Der Herrgott ist schwarz! Was ist da passiert? Der Heiland als Person of Colour? Im konservativ-katholischen Südtirol?? Und das schon vor 1700??? Die Erklärung ist relativ schlicht: Der Kruzifixus wurde mit Ochsenblut und Pech bestrichen und so wetterfest gemacht. Das Kreuz stand ja zunächst über Jahre hinweg im Freien.
Trotzdem ist der „schwarze Herrgott“, wie das Kreuz auch genannt wird, ein Gedankenanstoß. In unserer Zeit wird tatsächlich diskutiert, ob Jesus nicht eine Person of Colour war. Wohl war er nicht schwarz. Aber als Kind des Nahen Ostens war er sicher auch nicht weiß. Und schon gar nicht blond und blauäugig wie auf manchen verkitschten Darstellungen. Zum Orientierung finden gehört auch immer wieder, die eigenen gewohnten Bilder im Kopf in Frage zu stellen. Sich auf Neues einzulassen. Auf diese Weise neue Erkenntnisse zu gewinnen. Und so mit Gott und seiner Wirklichkeit in Kontakt zu kommen – oft auf überraschende Weise. Das können besonders schöne Erlebnisse sein.
Das heißt nicht, alles Gelernte und Erreichte über Bord zu werfen. Weder die schönen Ferienerlebnisse. Noch Erlerntes und Erarbeitetes aus vergangenen Schuljahren. Darauf macht Paulus im Philipperbrief ebenso aufmerksam wie darauf, wie wichtig es ist, Ziele anzustreben und sich für den Glauben ins Zeug zu legen.
Offenheit für Neues schließt auch die Offenheit für neue Begegnungen ein. Manche von Euch sind neu an unserer Schule und begegnen ganz vielen neuen Menschen. Und für die, die schon länger da sind, sind die Begegnungen mit diesen Menschen neu. Manche Menschen haben eine neue Aufgabe an unserer Schule. Auch dadurch ergeben sich neue Begegnungen. Allen Neuen ein herzliches Willkommen und allen – ob neu, in neuer Funktion oder am angestammten Platz einen guten Start ins neue Schuljahr. Mögen wir in einem guten Miteinander Wege gehen, einander aufhelfen, wenn wir stolpern oder der Weg zu steil wird, Ziele erreichen und uns in alldem von Gott begleitet wissen.
Amen
Arnold Glitsch-Hünnefeld