Stufenkonzept als innere Ordnung
Mit dem Neubau des Unterstufengebäudes (Erstbezug zum Schuljahresbeginn 2018/19, Einweihung im März 2019) sowie der Fertigstellung des Mittelstufengebäudes (2019 – 2021) ist ein wichtiger Stein in der Gebäude- und Raumentwicklung gesetzt, der vom Konzept des „Individuellen Lernens mit iPads“ hergeleitet ist.
Seit vielen Jahren ist in dieser Schule die klassische Trias der Schulentwicklung etabliert: Unterrichtsentwicklung greift in Organisations- und Personalentwicklung; aus einem traditionsreichen Internatsgymnasium wurde eine traditionsbewusste, innovative Regionalschule.
Unterschiedliche Schularten als äußere Ordnung
2004 wurde ein neues Fach „Wirtschaft und Verantwortung“ entwickelt, bilingual unterrichtet, im Abitur prüfungsfähiges Wahlfach mit wirtschaftsethischen Schwerpunkten. Daraus entstand die Idee, ein Wirtschaftsgymnasium zu gründen (2009), dem eine Realschule folgte (2011), die am Ende ihres Aufwachsens 2016 als weitere Anschlussmöglichkeit für die Schüler im Haus in ein sozialwissenschaftliches Gymnasium oder ein Aufbaugymnasium mündete.
In diesem Abriss der Organisationsentwicklung lässt sich erkennen, dass die Schule die Individualisierung des Lernens vorangetrieben hat, insbesondere durch
- äußere Differenzierung nach Schularten
- innere Differenzierung nach Jahrgangsstufen und Methoden
- Erweiterung des Individualisierten Lernens mit digitalen Medien (iPads)
- Stärkung des autonomen Lernens durch Lern-Coaching.
Konstruktivismus
Die Schulentwicklung in Gaienhofen orientiert sich zum einen am Konstruktivismus in der Pädagogik und der Erkenntnis, dass immer weniger der Lehrer zuständig für den Wissenszuwachs des Schülers ist. Wissen ist mittlerweile ubiquitär, was es jedoch braucht, ist die Organisation des Wissens in anwendungsorientierten Handlungsfeldern und eine Lernbegleitung der Schüler. Also: andere, weitere Unterrichtsformen als den klassischen Frontalunterricht.
Gestaltung der Räume
Dies hat Auswirkungen auf die Raumgestaltung. Dazu Hausmann:
„Die Rolle des Lehrers ist nicht mehr ausschließlich die des Wissensvermittlers, […] sondern er ist gleichzeitig Berater und Lernbegleiter für die Schüler, die ihren Lernweg eigenverantwortlicher und selbständiger gestalten sollen. Folglich ist die Bereitstellung von Unterrichtsmaterialien in Form verschiedenster Medien…. ein unausweichlicher Punkt in der Gestaltung von Unterricht. Diese Veränderungen im Bildungssystem erfordern dringend eine räumliche Reaktion und Anpassung…. Es gilt, den Klassenraum an seine neuen Anforderungen anzupassen und um notwendige Bereiche zu ergänzen.“ (1)
Organisation des Schulcampus
Unsere Schulentwicklung orientiert sich zum anderen an der vorhandenen Traditionslinie der deutschen Reformpädagogik mit ihrer Ausrichtung auf den einzelnen Schüler in der Gemeinschaft Gleichaltriger und dessen Leben in einer gestalteten und von ihm selbst zu gestaltenden Umgebung: Schule als Lebensraum und Ort einer eigenen Kultur. In diesem Zusammenhang ist die Organisation des gesamten Schulcampus’ zu sehen:
In Einheiten zu je zwei oder drei Jahrgängen – schulartübergreifend – zusammengefasst, sind die Gebäude der Schule aufgeteilt in einen Unterstufencampus mit Real- und Gymnasialschülern der Stufe 5 und 6, einen unteren (Stufe 7-8) und einen oberen Mittelstufencampus (9-10) und einen Oberstufencampus (Jahrgänge 11-13), mit einer Zäsur in der Gelenkstufe (Jahrgang 11 für Berufliches Gymnasium und Aufbaugymnasium). Schüler sind dabei nach diesem Prinzip – bis heute an traditionsreichen Internatsschulen ablesbar – zunächst in ihrer Stufe die „Kleinen“, werden im nächsten Jahr zu „Großen“, bevor sie in der nachfolgenden Stufe wieder zu den „Kleinen“ werden, usw. Das ermöglicht so innerhalb einer Bildungsbiographie mehrmalige Perspektiven- und Rollenwechsel und schult durch Übernahme von unterschiedlichen Verantwortungsbereichen und –graden die Persönlichkeit.
Die EINE Schule
Das Besondere in Gaienhofen ist an dieser Stelle unser Selbstverständnis als „eine Schule“, die unabhängig von den einzelnen Schularten auch pädagogisch in Stufen-Abteilungen organisiert ist, nicht in Fach-Abteilungen.
Räumlich gestaltet sich das in diesem nach den Prinzipien von Dr. Otto Seydel geplanten Unterstufenbau (2), es gestaltet sich im Hauptgebäude hier im Anschluss für die Mittelstufen sowie in den sich auf mehrere (historische) Gebäude verteilenden Oberstufencampus rund ums Schloss: mehr Lern- und Arbeitsfläche für die Schülerinnen und Schüler durch größere Unterrichtsräume („Klassenraum Plus“) und einer Erweiterung durch angedockte Differenzierungsräume („Forum“, „Lernlandschaft“) hier in der Unterstufe.
Das Lern- und Medienhaus
Modell für die Raumaufteilung nach unseren Unterrichtsnotwendigkeiten ist dabei das „Lern-und Medienhaus“, als solches im Februar 2012 eingeweiht.
Darin befinden sich auch auf zwei Geschossen jeweils ein größerer „Instruction-room“ für Lerngruppen in einer „Input“- oder „Share“-Phase, in dessen unmittelbarer Umgebung mehrere kleinere Differenzierungsräume angesiedelt sind. Wir sprechen hier von „Lernlandschaften“ oder von „Lernclustern“, nicht mehr von „Klassenzimmern“.
Individualisiertes Lernen mit iPads
Diese Raumgestaltung ist nötig, um die seit 2012 entwickelten und seit dem Grundsatzbeschluss der Gesamtkonferenz aus Lehrern, Eltern, Schülern von 2014 etablierten Formen individualisierten Lernens mit iPads realisieren zu können.
„Grundsätzlich unterscheiden wir drei Arten der Umsetzung:
- Erarbeitung: Schüler erarbeiten sich ein Thema selbst. Das Ziel und der zeitliche Rahmen sind dabei durch die Lehrkraft festgelegt, die Schüler können aus verschiedenen Materialien wählen, wie sie dieses Ziel erreichen möchten. Dabei bieten die Materialien unter Berücksichtigung unterschiedlicher Lerntypen verschiedene Lernwege an.
- Training: Nach einer Inputphase durch die Lehrkraft erhalten Schüler Material und einen zeitlichen Rahmen, um ein vorgegebenes Ziel zu erreichen.
- Unterrichtsbegleitendes Arbeiten: Schüler erhalten im laufenden Unterricht immer wieder Gelegenheit die erworbenen Kenntnisse anhand geeigneter Aufgaben und Materialien anzuwenden und erhalten Rückmeldung zu ihrem Lernfortschritt.“ (3)
Individualisiertes Lernen als anerkanntes Unterrichtsprinzip
Dabei wechseln die Sozialformen des Unterrichts beständig zwischen Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit. Das Unterrichtskonzept des „Individualisierten Lernens“ ist dabei auf breiter Basis wissenschaftlich abgesichert:
- Individualisierung und Unterrichtsqualität: A. Helmke (2004 und 2009) und H. Meyer (2004);
- Individualisierung und Motivation: J. Bauer (2007);
- Individualisierung und Standardisierung: Weinert (2001) und Zeitler/Köller/Tesch (2010);
- Individualisierung und multiple Intelligenz: Gardner (2002);
- Individualisierung und Methodenkompetenz: Klippert (2004).
Voraussetzungen für erfolgreiches Lernen
Indem wir die Schule Schloss Gaienhofen Stück für Stück nach diesen pädagogischen Grundsätzen auch räumlich umbauten, schafften wir Gelingensbedingungen für eine moderne Unterrichtsgestaltung gerade auch im Verbund mit historischen Räumen, die vormals Internatsräume waren. Dabei sehen wir verwirklicht, was die Evangelische Kirche Deutschlands für ihre Schulen in ihrer Schrift: „Gute Schule aus evangelischer Sicht, Impulse für das Leben, Lehren und Lernen in der Schule“ (2016) postuliert:
„Die Schule wird zum Lebensraum durch eine einladende Architektur und funktionsgerechte, ergonomische Arbeitsplätze. Sie bedarf eines kind- und jugendgerechten Raum- und Gestaltungskonzeptes, das gemeinsames Arbeiten und individuelle Konzentration gleichermaßen unterstützt. Sie ist anregend gestaltet und macht damit das, was sie anbieten kann, sichtbar.“ (4)
Forschungsgruppe „das offene Klassenzimmer“, FH Aachen, 2005
(2) „Empfehlungen für einen zeitgemäßen Schulhausbau in Baden-Württemberg“, im Auftrag des KM, 2013
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