Es war einmal… Chaos! 

Rückblick auf eine gelungene Theateraufführung! 

„Haben Sie sich nicht auch schon immer gefragt, was die Figuren eines Buches so alles anstellen, sobald das Buch geschlossen ist und buchstäblich keiner hinschaut? Was wäre, wenn die Märchenfiguren all die bekannten Geschichten für den jeweiligen Leser nur inszenieren? Also alles nur Theater?“ (Zitat aus dem Programmflyer) 

Diese Worte aus dem Programmflyer, den der erwartungsvolle Zuschauer im Halbdunkel im AD-Saal in den Händen hält, machen neugierig. Noch bevor der Vorhang aufgeht, tummeln sich jedoch in seiner Fantasie die aus Kinderzeiten lebendig gebliebenen Figuren wie Rotkäppchen, der böse Wolf, Schneewittchen, die böse Königin, der schöne Prinz und Rapunzel – und natürlich sieben Zwerge! Eine aberwitzige Vorstellung, dass diese Figuren auch etwas anderes können sollen als… ihre uns bekannte Rolle spielen? Ist es das?  

Nach dem überwältigenden Erfolg der letztjährigen Eigenproduktion hat sich das „Schlosstheater“ aus rund 30 schauspielbegeisterten Schülern wieder an ein aufwändiges Projekt gewagt, das die Märchenwelt auf den Kopf stellt. „Das große Märchenbuch für Kinder“ wurde also auf eine neue Art lebendig und entführte die Zuschauer in eine Welt, in der der Erzähler (fast) immer alles fest im Griff hat und die Grenzen zwischen realer und erzählter Welt ständig verschwimmen.“ – so lautet die Ankündigung des Stücks, das unter der Regie von Margit Schlenker in Unterstützung von Grimme-Preisträger Siemen Rühaak und Anja Däschler (Unterstufentheater) einstudiert wurde. 

„Der Erzähler des Märchens – sonst anonym aus dem Off – ist hier Chef, Regisseur und Koordinator in einem. So organisiert er ständig Proben, damit zum richtigen Zeitpunkt der Text, das Kostüm, aber auch die ganze Inszenierung wirklich sitzen. Pedantisch, cholerisch und nur unterstützt vom allwissenden, neurotischen Zauberspiegel, führt er ein strenges Regiment, sodass alle an ihrem Platz sind, wenn ein Mensch das Buch in die Hand nimmt. Damit sind natürlich nicht alle Figuren glücklich und eine Rebellion scheint unumgänglich. Aber auch die anderen haben es nicht leicht: Der große böse Wolf kämpft mit seinem pubertierenden Sohn, wobei sich herausstellt, dass der kleine Wolf dem Trend der Zeit folgend Veganer geworden ist und somit seine Rolle als Bösewicht verspielt hat. Der Prinz, den der Illustrator in den Hintergrund gezeichnet hat, schmollt zunächst, kämpft dann aber um Anerkennung, indem er sich eine hübsche Prinzessin angeln möchte, die aber unter ihrer Namenlosigkeit leidet. Schneewittchen hat ihre sieben Zwerge verloren und muss jetzt sehr zu ihrem Leidwesen selber putzen und kochen, dafür tauchen Figuren auf, die gar nicht in ein Märchen gehören! Der Vampir zum Beispiel, der beim Aufräumen aus seinem eigenen Buch gefallen ist und nun als Tourist die Märchenwelt erkundet und gerne ein Märchen über sich selbst hätte; Jasmin, die sich aus Aladdin hierher verirrt hat und mit ihrem fliegenden Teppich Aufsehen erregt; und nicht zuletzt Maybe und Johnny, zwei YouTube-Stars, die aus dem iPad in die Märchenwelt gepurzelt sind.“ (Auszug aus dem Flyertext) 

Die Schauspieler zeigten eindrucksvoll, dass sie sich sowohl Kostüm als auch Rolle auf den Leib geschneidert hatten und in ihrer Aufgabe aufblühten. Fernab von sterilen und statischen Texten zogen die jungen Menschen ihre Zuschauer in den Bann, indem sie die Figuren lebendig und mit großer Spielfreude darstellten und nicht selten ihr reales Wesen zum Ausdruck bringen konnten. Textliche Pannen wurden durch Improvisation professionell ausgeglichen, sodass deutlich wurde, dass die Schauspieler sich mit ihrer Rolle tatsächlich identifiziert hatten – ein seltenes Bild bei Schülertheateraufführungen. Ebenso meisterhaft waren auch die Kostüme und die Maske, die mit einem ausgefallenen Design auch für das Auge eine wahre Freude darstellten und dem Stück damit eine besondere Prägung verliehen. 

„Mit jedem ‚Es war einmal‘ geht der rote Vorhang auf. Dahinter erscheint eine nur roh gezimmerte Bühne, auf der dennoch alles Wichtige vorhanden ist: das Dunkle, die Tür, der Baum, die Falle, der Apfel, ein Stein, eine Leiter, Geräusche, Metall und Stoff, eine Kerze, ein Fenster, Schlüssel und Bett, Hütte und Halle, in der ich als Rapunzel oder Hexe unendlich viel Spielraum habe.“         Rotraut Susanne Berner 

Aus unserem Erfolg des letzten Jahres, als wir unser erstes ganz „eigenes“ Werk Verrückt präsentieren durften, erwuchs der Wunsch, etwas Ähnliches zu wiederholen. Dieses Schuljahr ließen wir uns von der Märchenwelt inspirieren und so fingen wir an, Rollen zu entwickeln, Motive der Figuren zu ergründen und Rollenbiographien zu schreiben. Die Schülerinnen und Schüler beschäftigten sich damit, was ihre Figuren bewegt: Was ist ihr Ziel, wo wollen sie hin? Und – was hält sie bisher davon ab? 

Improvisationen zeigten uns dann, was alles passieren kann, wenn sich diese völlig unterschiedlichen Gestalten begegnen – viele dieser spontanen Szenen haben wir übernommen. Dann die Reise in die Toskana – unsere „Schattenseiten“ kennen lernen war eins der Ziele unseres Theater-Workshops, wodurch nochmal ganz neue Impulse, Ideen und viel Energie in unsere Entdeckungsreise geleitet wurde, denn in den Figuren steckt ganz viel von uns selbst. 

Schließlich mussten wir auswählen, verwerfen, los lassen, neu erfinden, uns auf Dinge einlassen und aushalten, dass das Stück seine eigene Dynamik entwickelte. Am Schluss dann eine dramaturgische Herkules-Aufgabe, all die Handlungsstränge, Ideen, Motive und die Vielzahl an Figuren in einem einzigen, riesigen Gebilde zusammen zu fügen. Aber es ist durchaus ein erhebendes Gefühl, wenn dann all die Puzzleteile – so verschieden sie auch sein mögen – am Schluss dann doch ein Ganzes ergeben. 

Jede(r) der Beteiligten hat seinen / ihren Teil beigetragen und wir sind stolz, Ihnen jetzt unser Gesamtkunstwerk zu präsentieren – so wie es eben geworden ist: Ein bisschen schräg, ein bisschen ungewöhnlich, nie ganz fertig, aber ganz und gar WIR. (M. Schlenker)