Sehr geehrte Frau Unbehaun-Maier, sehr geehrter Herr Maier,
liebe Schülerinnen und Schüler, lieber Herr Zecca,
verehrte Gäste dieser Eröffnungsfeier,
auch ich möchte Sie ganz herzlich begrüßen zu diesem für die Evangelische Schule Schloss Gaienhofen außergewöhnlichen und schönen Ereignis einer Ausstellungseröffnung mit künstlerischen Arbeiten von Schülern des Kunst-Kurses der Abschlussklassen vor dem Abitur 2022.
Auch wenn die Zeiten spätestens seit dem 24. Februar düster sind und sicher auch diese Räume verdunkeln, so bin ich doch dankbar, dass wir uns heute Morgen mit Licht und Farbe beschäftigen können, mit einem Prüfungsthema und einer Künstlerin, die generell mehr Beachtung verdient.
Besonders bedanken möchte ich mich bei Ihnen, Frau Unbehauen-Maier, für die Möglichkeit, dass Schülerinnen und Schüler meiner Schule in diesen hehren Hallen ihre eigene, bildliche Auseinandersetzung mit der Künstlerin Gabriele Münter öffentlich machen können. Das ist nicht selbstverständlich – und es zeigt Mut, den Museumsraum für Schulmenschen zu öffnen. Freilich ist der Kursleiter und künstlerische Leiter dieses Projekts nicht nur Schulmann: Herr Zecca ist hier im Haus gut bekannt und selbst unter den ausgestellten Künstlern. Dieses erste Gesicht – der Künstler – mag dazu beigetragen haben, dass die Anfrage des Kunsterziehers ernsthaft erwogen und mit der Ausstellung jetzt umgesetzt wird. Dieses erste Gesicht ist aber auch in unserem schulischen Kontext von großer Bedeutung: es ist schon etwas Besonderes, so jemanden wie Herrn Zecca zum Lehrer zu haben. Und selbst die Kleinen, die sich in den letzten Wochen um die Aufnahme an unserer Schule beworben haben, wissen darum – es ist für manche ein Grund, an diese Schule zu wollen: „Unterricht bei einem echten Künstler…“
Dabei habe ich noch gut in Erinnerung, dass Herr Zecca selbst das Wort prägte: „In jedem Schüler steckt ein Künstler!“ – Ja, vielleicht, aber es muss einem Kunsterzieher auch gelingen, diese Seite zum Vorschein und zum Leuchten zu bringen. Ich denke, davon können wir in dieser Ausstellung von Schülerarbeiten eine Ahnung, ja, eine Vorstellung bekommen. Zwei Schüler, Georg Raach und Silas Auer werden uns nachher da durch geleiten.
Diese Doppelgesichtigkeit – der Künstler und der Kunsterzieher in einem – diese Doppelgesichtigkeit ist ja auch in der Anlage dieses Projekts erkennbar: die Werke der Malerin Gabriele Münter sind Schwerpunktthema für das Abitur, und indem die Künstlerin nicht nur Gegenstand eines Anschauungsunterrichts wird, sondern in der Aufgabenstellung durch Antonio Zecca mit ihren Werken selbst die Schüler zur aktiven, gestalterischen, malenden Auseinandersetzung bringt, wird sie zur Kunsterzieherin im übertragenen Sinn. Die Aufgabe war: eigenständig, aber so „original“ wie möglich die Werke von Gabriele Münter nachzuempfinden. Worin liegt also die Kunst – bloßes „Abmalen“ ist keine Lösung der Aufgabe – was soll zum Ausdruck kommen, mit welchen stilistischen und formalen Mitteln?
Mit einem Blick auf die bewegte Biografie der Künstlerin eröffnet sich auch eine zeitgeistkritische Perspektive: Kind wohlhabender deutsch-amerikanischer Eltern, konnte sie um die Jahrhundertwende zum 20 Jhdt. dennoch nicht die Hochschulen besuchen, die sie für ihre künstlerische Ausbildung ausgesucht hätte – Frauen waren in den Kunstakademien noch nicht zugelassen. Stattdessen nahm sie Privatunterricht oder belegte Kurse an der „Damen-Akademie“ des Künstlerinnen-Vereins in München. In diesem Umfeld lernte sie Wassily Kandinsky als Lehrer kennen und wurde auch dessen – zunächst heimliche – Lebensgefährtin, ging mit ihm auf Reisen, lebte mit ihm in Paris – und damit verbunden war in der Rezeptionsgeschichte lange Zeit ihr eigenes Schattendasein, obwohl sie selbst zu den Gründerinnen des „Blauen Reiter“ gehörte, im Ausland, v.a. in Skandinavien und in den Niederlanden große eigene Ausstellungen hatte und ab 1908 von der Landschaftsmalerei – „vom Naturabmalen“ zum „Fühlen eines Inhalts, zum Abstrahieren – zum Geben eines Extrakts“ sprang, wie sie es selbst formulierte. Und damit zu vereinfachten Formen und großen Flächen. Gegenstände werden ohne Perspektive dargestellt – Gabriele Münter wird eine der bedeutendsten deutschen Malerinnen des Expressionismus. Geprägt von Pioniergeist und Freiheitswillen wird sie zur eigenständigen Künstlerin mit emanzipatorischer Haltung. Nach der Trennung von Kandinsky in den zwanziger Jahren erhält sie von ihm, der inzwischen Bauhauslehrer in Dessau und anderweitig verheiratet ist, dessen Werk der Münchner Jahre, das sie durch die Zeit des Zweiten Weltkriegs rettet. – Da ist sie wieder, diese Zweigesichtigkeit: im Schatten des Künstlerkollegen Kandinsky, mit dem sie die Vorliebe für kindliche Unbefangenheit und naive Volkskunst teilt und mit dem sie auch gemeinsame Werke schafft – bleibt sie bis vor 30 Jahren in der Kunstkritik eher Epigonin, die Frau neben…, bevor sie wieder als eigenständige Künstlerin entdeckt wird.
Auch die Schülerinnen und Schüler haben sich von diesen gemeinsamen Werken zu eigenen, gemeinsamen Arbeiten inspirieren lassen. Ihre eigene Auseinandersetzung mit Form und Farbe sehen Sie hier in der Ausstellung. Ich freue mich auch immer wieder über die Bildungspläne in Baden-Württemberg, die inhaltlich so ausgerichtet sind, dass Tabuthemen der Vergangenheit zum Unterrichtsgegenstand werden, ob in Französisch der Algerienkrieg bis 1962 zu Zeiten, in denen er in Frankreich selbst noch nicht groß thematisiert wird – oder im Kunstunterricht die Frauen als eigenständige Künstlerinnen, die lange Zeit nur als Frauen neben anderen, bekannten Künstlern wahrgenommen wurden.
Ich wünsche Ihnen einen anregenden Gang durch eine Ausstellung mit Stillleben, Blumen- und Landschaftsbildern, entspannten Menschen und Porträts in kräftigen Farben, bei denen das Blau nicht fehlen darf, zum Ausdruck ganz unterschiedlicher Gegenstände, aber immer als Ausdruck spontaner Emotion und ungezügelter Kreativität.
Daher, zum Schluss: mein Dank an die vortragenden Künstler, Louis Glaser und Martina Bischofberger, an Lyla Rolando für ihre Kleid-Kreation, an die Künstler dieser Ausstellung selbst, dass sie uns an ihrer Auseinandersetzung mit Gabriele Münter und damit an ihren Abiturvorbereitungen teilhaben lassen! Und an ihren Lehrer, Antonio Zecca, für die Idee und die Umsetzung dieses Projekts im „Museum Art and Cars“ in Singen.
Beim Vorgespräch vorhin fragte Herr Maier nach, ob man diese Art der Veranstaltung nicht verstetigen und jährlich mit den Kunst-Abschlussklassen von Schloss Gaienhofen eine Ausstellung mit jeweiligen Kunstwerken der Schülerinnen und Schüler machen könne. – Sehr gerne, Frau Unbehaun-Maier, Herr Maier, sage ich Ihnen nach kurzer Rücksprache mit unseren Künstlern, Herrn Björnsgard und Herrn Zecca, dieses langfristige Projekt zu!
D. Toder